Margit Hansen: Leben wohl dosiert

 

 

Ein Interview mit Margit Hansen

 

 

 

Frau Hansen, Sie führen als Inhaberin die Neuberg-Apotheke in Neckarsulm. Wie wurden Sie zu einer Frau Apothekerin?

Meine Eltern waren beide Apotheker, sie betrieben eine Apotheke in Neckarsulm. Seitdem ich 10 Jahre alt war sagte ich: „Ich werde Apothekerin“. Und das zog ich durch; auch wenn ich  Latein lernen musste -  was mir nicht besonders lag.  Mit meinen Eltern war ausgemacht, dass ich nach dem Studium ihre Apotheke übernehme.

 

Aber ganz so funktionierte es nicht. Wie kam es zu dem Wagnis, eine eigene Apotheke aufzumachen?

Die Stadt plante damals, eine Apotheke im Neuberg zu eröffnen. Das war in unmittelbarer Nachbarschaft zur elterlichen Apotheke und mein Vater bekam das Angebot, dort eine Zweit-Apotheke zu eröffnen. Mein Vater fragte mich, ob ich das machen wolle. Praktisch gestaltete es sich so, dass wir eine zeitlang beide Apotheken parallel laufen ließen, um zu sehen, welcher Standort besser sei. Als sich zeigte, dass das der Neuberg ist, schlossen meine Eltern die alte Apotheke.

 

Es war tatsächlich ein großes Wagnis für mich. Die Apotheke meiner Eltern war etabliert gewesen; das muss man sich an einem neuen Standort erst erarbeiten. Natürlich mussten die neuen Räume mitsamt der Einrichtung finanziert werden. Zum Glück hat sich aber alles gut entwickelt. Die Apotheke wurde für die Menschen nach und nach zu einer „Vetrauens-Apotheke“.

Jede beruflich aktive Frau steckt in dem Zwiespalt, Beruf und Familie vereinbaren zu müssen. Wie ging es Ihnen damit und wie sieht Ihre Situation aktuell aus?

Arbeiten macht mir Spaß, die Apotheke hat mir Freude bereitet und sie tut das immer noch. Wenn alles einigermaßen planmäßig läuft, macht es mir auch nichts aus, Zuhause auch um 23 Uhr noch etwas aufzuarbeiten.

 

Ich hatte das Glück, schnell sehr gute Mitarbeiter*innen zu finden. Sie murrten auch nicht über Mehrarbeit, wenn bei mir Zuhause nicht alles glatt lief. Wir waren und sind ein wirklich gutes Team. Für unser Zuhause war es natürlich notwendig, jemanden für den Haushalt zu engagieren. Nach mehreren – etwas chaotischen – Versuchen fanden wir eine ganz tolle Frau, die auch mit den Kindern prima zurecht kam. Selbst von den Nachbarn bekamen wir Unterstützung.

Zusätzlich standen eines Tages zwei Mädchen vor der Türe und fragten, ob sie vielleicht unsere Kinder spazieren fahren dürften. Die Beiden kamen daraufhin beinahe täglich vorbei, gingen mit den Kindern auf den Spielplatz und beschäftigten sich intensiv mit ihnen. Als ein Jahr später unser Dritter auf die Welt kam, waren die Mädchen überglücklich, nun noch ein kleines Baby mit dabei zu haben. Leider konnte ich sie nicht fest einplanen, sie kamen wann sie wollten. Trotzdem war es wie ein Geschenk des Himmels und für mich eine ganz tolle Hilfe.

 

Wenn ich heute diese Zeit rückblickend betrachte, frage ich mich manchmal, wie hatte ich mir  früher die Zeit nehmen können, um mit Nachbarn draussen zu sitzen oder Weihnachtsbasteleien zu machen? Das kann ich heute gar nicht mehr so recht nachvollziehen. Aber es  ging irgendwie.

 

Wie ist die Situation heute für Sie?

Die Kinder sind inzwischen erwachsen, dafür sind nun Enkelkinder da. Eines ist Lena; sie lebt bei meinem Mann und mir und benötigt intensive Zuwendung, Förderschule und sehr viel unserer Aufmerksamkeit. Einen ruhigen Lebensabschnitt zu planen, ist also vorerst nicht möglich. Es ist alles fast wie früher. Aber heute kommt dazu, dass wir älter geworden sind. Ich bin dankbar für meine Gesundheit und für meine immer noch gute Leistungsfähigkeit, aber ich spüre, dass ich für manche Dinge mehr Zeit brauche und auch nicht mehr so viel verkrafte; besonders dann nicht, wenn etwas unangemeldet daher kommt. Langsam reifte mein Wille, mit der Apothekenarbeit ganz aufzuhören. Wir sind in Nachfolge-Gesprächen und ich hoffe, dass wir es in den nächsten ein bis zwei Jahren abwickeln können. 

Dabei wird Wehmut hoch kommen, manches wird mir fehlen, aber ich bin überzeugt, die Apotheke abgeben zu können ohne ihr nachzujammern. Ich sehe sie als etwas, das ich zwar aufgebaut habe, das aber nicht ewig meinen Stempel tragen muss. Ich bin zwar ein emotionaler Mensch, aber das sehe ich pragmatisch, ich kann abgeben und loslassen, wenn etwas zu Ende ist.

 

Aus unserem Vorgespräch weiß ich, dass Sie neben Beruf und Familie auch noch Zeit für Ehrenämter einsetzen. Sie sind Vorsitzende im Kirchengemeinderat der Martin Luther Kirche. Wie kamen Sie dazu?

Meine Erziehung war kirchlich geprägt. Das verlor sich im Studium, aber als für unsere Kinder die Kinderkirchenzeit begann, kam ich der Kirche wieder näher. Damals gab es in der Martin Luther Kirche eine sehr aktive Gruppe, die Kiki-Band. Rund um  diese Band hatte sich mit  Pfarrer Müller ein Kreis gebildet und wir Eltern waren sofort involviert. Ich empfand Pfarrer Müller als einen Mann mit Charisma und großer Überzeugungskraft. Er konnte die Menschen binden, schickte sie aber auch los, um selbstständig tätig zu sein. Das gefiel mit gut. Eines Tages wurde ich gefragt, ob ich nicht in den Kirchengemeinderat reinschnuppern möchte. Ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukäme und wollte schauen, ob ich das mit Apotheke und Familie zeitlich überhaupt vereinbaren konnte. Da die Sache bis zur nächsten Wahl - auf zwei Jahre - beschränkt war, fand ich, das könne ich mal probieren. Es zeigte sich dann, dass es sehr gut ging.

Die Menschen im Kirchengemeinderat, das ist eine befreundete Gruppe. Es wird viel geholfen und niemand muss etwas tun, mit dem er nicht klarkommt oder das ihm zuviel wird. Das ist für mich eine Grundvoraussetzung um so etwas zu tun. In der Gruppe herrscht Vertrauen und wirklich auch ein internes Verständnis zur Nächstenhilfe. Darum fühle ich mich dort auch  wohl. Zudem macht mir die Arbeit Spaß. Inzwischen habe ich vier neue Pfarrer miterlebt. Mit dem jetzigen, Herrn Steiner, haben wir einen Glücksgriff getan. „Er wurde extra für uns gebacken“ – wie es ein Mitglied des Kirchengemeindesrates so schön formulierte.

 

Aus diesem Kirchengemeinderat wuchs der Freundeskreis Asyl, in dem sie ebenfalls aktiv sind.
Wie erlebten Sie die Gratwanderung zwischen der Politik, die sich auf keine klare Linie einigen konnte und der konkreten Arbeit am Ort mit den Asylsuchenden?

Der Asylkreis entstand vor rund 25 Jahren. Die Diakonie hatte sich damals aus der Sozialarbeit zurückgezogen und wir vom Kirchengemeinderat sahen, dass da eine riesige Lücke entstand, die man so nicht lassen durfte - und so übernahmen wir diese  Aufgabe. Dabei war vom Anfang an klar: das ist ein Ehrenamt, es gibt keine Leistungen, kein Geld - und wir sind frei in unseren Entscheidungen. Frei zu sagen, was wir wollen und was wir nicht mittragen. Mit Blick auf die Politik war uns das sehr wichtig und es ist heute - der Asylkreis ist wegen der aktuellen Lage aktiver als je zuvor - nicht weniger wichtig.

Zurzeit sind wir genau an dem Punkt, an dem wir klarstellen müssen, dass wir nicht die Projekte der Politik umsetzten, nicht die des Landes und der Stadt, sondern dass wir als ein eigener, unabhängiger Kreis das tun, was wir für richtig erachten. Das Intergrationsprogramm muss von der Stadt geleistet werden. Wir sind zur Kooperation bereit, das ist keine Frage, aber wir sind nicht ausführendes Organ der Stadt.

 

Diese Freiheit scheint uns extrem wichtig. Nur dann kann man sagen, was man denkt, egal mit welchem Politiker man zusammen kommt. Man will es sich nicht mit der Politik verscherzen, schließlich ist es schwierig, das alles politisch zu gestalten. Aber die Bürokratie empfindet man manchmal als Katastrophe. Bis etwas in die Wege geleitet wird, sind die Asylbewerber schon wieder weg. Das ist für alle Beteiligten frustrierend. In jüngster Zeit haben wir mit der Stadt auch gute Erfahrungen gemacht; es gab viel Unterstützung ohne Bürokratie. Aber durch die  Asylpolitik Politik zu machen, das möchte ich nie und nimmer.

 

Bei so viel Einsatz stellt sich die Frage, wie tanken Sie auf, um genug Kräfte für den vielfältigen Alltag zu haben?

Ich brauche gar nicht so viel Zeit zum Auftanken. Wie ich schon sagte, ich arbeite gerne. Mein Selbstbewusstsein wächst durch Arbeit, das wiederum gibt mir Energie. Und es ist nicht so, dass ich nur investiere. Sei  es im Kirchengemeinderat, im Asylkreis oder in der Apotheke – ich bekomme durch die Arbeit viel Anerkennung. Das sehe ich oft schon als Auftanken. Abschalten kann ich schnell draußen in der Natur, beim Spazieren-gehen oder walken. Wenn ich Zeit habe, lese ich sehr gerne. Aber diese Zeit finde ich ich im Alltag kaum und so beschränkt sich das Lesen meist auf den Urlaub.

Zu verreisen ist sehr wichtig für mich. Da drehe ich den Schlüssel um, es gibt keine Gedanken mehr an Kirche, Asylkreis, Apotheke oder sonst etwas – dann bin ich weg. Meist sind wir für die Auftankurlaube in Dänemark, in einem Häuschen mit nichts drumherum außer Heide.

Dort lese ich viel, schlafe, fahre Fahrrad und kann für mich sein.

 

 

 

 

Der Mensch beschäftigt sich häufig mit der Frage, wie geht es weiter? Sicher haben Sie sich auch schon Gedanken darüber gemacht?

Ordentlich viele in letzter Zeit. Ich bin 66. Die Apotheke werde ich in andere Hände übergeben. Die Ehrenämter werden bleiben. Der Asylkreis hat mich in letzter Zeit sehr in Anspruch genommen; um dort später nicht meine ganze freie Zeit zu verbringen, müssen wir klare Regelungen finden; wir sind auch gerade dabei, eine Rahmenordnung zu erstellen. Denn ich hoffe,  in Zukunft mehr Zeit für die Familie zu haben. Langsam wird sie von den Enkeln geprägt; sie sind zwischen eins und zehn: da wird weiter viel zu tun sein. Auf mehr Natur, mehr Wanderungen, Spaziergäng freue ich mich; auch auf Radtouren, die dann über zwei oder drei Tage gehen können. Wenn ich sehe, wie sehr mein Mann die Rente genießt, dann will ich es ihm möglichst bald gleichtun.

Danke, Frau Hansen, für das Gespräch.

 

 

 

 

 

 

Petra Müller - Fotografieren mit Gefühl 0